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Gleichbehandlungsgesetz in der Kritik: „Kein Mensch weiß mehr, was gilt“

Geht es nach dem Willen der Regierung, soll ab 1. August jenes Gesetz in Kraft treten, das die Menschen am Arbeitsplatz und im Geschäftsleben vor Diskriminierungen schützt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der großen Koalition aber ist umstritten. Es sei "handwerklich schlecht gemacht" und voll von "unbestimmten Rechtsbegriffen", warnen Juristen.

Von Britta Scholtys, tagesschau.de

 

Die Bundesregierung steht unter Druck: Schon längst müsste laut EU-Richtlinie ein Gesetz zum Schutz der Menschen vor Benachteiligungen wegen Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlechts in Kraft sein. Doch der Entwurf zum deutschen Gleichbehandlungsgesetz stößt auf Widerstand.So war es bereits unter der rot-grünen Regierung und so widerfährt es auch dem von der großen Koalition vorgelegten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das sich kaum vom rot-grünen Entwurf unterscheidet.

Jurist: "In der Praxis tappt man im Dunkeln"

Die Idee an sich sei natürlich gut, sagt der Hamburger Jurist Matthias Kroll im Gespräch mit  tagesschau.de, doch "man tappt in der Praxis im Dunkeln". Denn das Antidiskiminierungsverbot sei in ein Gesetz gegossen worden, das sich durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe auszeichne, wie etwa der "mittelbaren Benachteiligung". Diese liegt laut AGG dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Was aber bedeutet das?

Aus für "jung" und "perfekt deutsche Sprachkenntnisse"?

 

Wenn zum Beispiel eine Parfümerie oder ein Kosmetiksalon eine "jungeMitarbeiterin" suche, aus der Ausschreibung aber nicht hervorgehe, warum die Differenzierung "jung" nötig ist, dann könne eine abgewiesene Bewerberin mit Verweis auf Diskriminierung wegen des Alters denArbeitgeber auf Schadenersatz verklagen, erklärt Rechtsanwalt Kroll.

Oder: Ein Unternehmen sucht eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter mit "perfekten deutschen Sprachkenntnisse". Auch das könnte diskriminierend und ein Grund für eine Klage sein. Zulässig sei die Einschränkung nur, wenn sie eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist, erklärt der Vorsitzende des Arbeitsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Heinz-Josef Willemsen, im Gespräch mit  tagesschau.de. "Die Arbeitgeber müssen bei Ausschreibungen die besondere sachliche Notwendigkeit einer Einschränkung, zum Beispiel des Alters, Geschlechts oder der Religion, begründen", so Willemsen.

Experte: Bereits hohes Schutzniveau im Rechtssystem

Auch Willemsen kritisierte, das Gesetz sei "handwerklich schlecht gemacht": "Das Gesetz ist eine juristische Spielwiese." Deutschland habe bereits ein hohes Schutzniveau im Arbeitsrecht, zum Beispiel durch den Kündigungsschutz. Das Bürgerliche Gesetzbuch schütze etwa Frauen vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz, Behinderte würden durch zahlreiche Vorschriften in deutschen Gesetzen vor Benachteiligungen geschützt.

Außerdem schreibt bereits das Grundgesetz vor, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Auf dieses System werde nun nochmals ein weiteres Antidiskriminierungsgesetz drauf gepackt, sagt Willemsen. "Kein Mensch weiß mehr genau, was gilt."

Wer beweist die Benachteiligung?

 

Problematisch sei zudem die Beweislastregelung des AGG. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf reicht es aus, dass der Arbeitnehmer seine Benachteiligung glaubhaft darlegen kann. Den Beweis, dass keineDiskriminierung vorliegt, muss der Arbeitgeber bringen. Für diese sei das natürlich ein Nachteil, so Willemsen, insbesondere da nach dem jetzigen Gesetzentwurf auch der Betriebsrat klagen dürfe. Insofern sei die Sorge der Arbeitgeber vor einer Flut an Klagen durch Arbeitnehmer und abgewiesener Bewerber keine Schwarzmalerei.

In den USA zum Beispiel wurden allein im Jahr 2004 rund 19.000 Klagen wegen Ungleichbehandlung in Unternehmen eingereicht. Jede zweite Klage habe sich gegen kleinere und mittlere Unternehmen mit 15 bis 200 Angestellten gerichtet, erklärt Rechtsanwalt Kroll.

Wie die deutschen Gerichte auf die Klagen reagieren werden, sei noch völlig offen: "Die arbeitsgerichtlichen Urteile müssen den Rahmen erst noch festlegen", so der Anwalt.

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