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Aristoteles

„Antidiskriminierungsgesetz kostet Unternehmen 26 Millionen Euro Anwalt Kroll: Anzahl der Prozesse wird zunehmen“

Matthias Kroll im Gespräch mit Matthias Hanselmann

Einer Studie zufolge belastet das vor zwei Jahren in Kraft getretene Antidiskriminierungsgesetz die deutschen Unternehmen deutlich weniger als von der Wirtschaft behauptet. Nicht 1,7 Milliarden Euro, sondern nur lediglich 26 Millionen Euro seien an Kosten entstanden. Für Fachanwalt Matthias Kroll ist das nicht erstaunlich: Die Kosten seien von vornherein viel zu hoch veranschlagt worden.

Matthias Hanselmann: Vor zwei Jahren wurde in Deutschland das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz eingeführt - offiziell Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Das Gesetz schreibt, grob gesagt, Firmen vor, Minderheiten zu schützen. Diskriminierungen in Betrieben und Büros sollen durch das Gesetz eingedämmt, beziehungsweise verhindert werden, niemand soll Nachteile erfahren wegen zum Beispiel seiner Religion, seines Geschlechts oder einer Behinderung. Es gab viel Kritik an diesem Gesetz. Von Arbeitgeberseite wurde immer besonders beklagt, wie teuer die Sache käme, von Milliarden war die Rede. Das hat jetzt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes durch eine Studie untersuchen lassen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz belastet nach dieser Studie die Wirtschaft wesentlich weniger als bisher angenommen. Wir sprechen mit Matthias Kroll, er ist Fachanwalt und Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Guten Tag, Herr Kroll.

Matthias Kroll: Guten Tag, Herr Hanselmann.

Hanselmann: Wie werten Sie denn diese Ergebnisse, die von der Antidiskriminierungsstelle in Auftrag gegeben wurden, beziehungsweise die Studie?

Kroll: Mir ist die Studie natürlich bisher nicht bekannt. Insofern bedarf es da sicherlich in der Zukunft noch einer genaueren Prüfung. Aber über das Ergebnis, muss ich gestehen, bin ich nicht erstaunt, über das Ergebnis dieser Begutachtung, dieser Studie. Die damalige, aufgeworfene Zahl von 1,7 Milliarden Euro erschien mir, offen gestanden, von vornherein recht hoch. Ich habe in der eigenen Schulung, in der Schulung von Unternehmen festgestellt, dass die Kosten doch durchaus geringer waren als ursprünglich angenommen. Das lag letztlich auch daran, dass es ein geradezu Überangebot von Schulungsmaßnahmen für die Unternehmen gab, die sich insofern diese Leistungen auch günstig einkaufen konnten.

Hanselmann: Trotzdem, wie erklären Sie sich denn diese unglaubliche Differenz? Das ist ja nun von 1,73 Milliarden auf der Arbeitgeberseite die Rede gewesen, und jetzt kam heraus, das Ganze hat bisher rund 26 Millionen gekostet.

Kroll: Die Zahl von 1,7 Milliarden, das ist so ja auch deutlich geworden in der Vergangenheit, war eine Schätzung. Letztlich muss man, wie ich schon eben sagte, die nun veröffentlichte Zahl von 26 Millionen Euro noch genauer hinterfragen. Aber im Ergebnis ist das sicherlich nicht erstaunlich. Es hat zum Beispiel eine Umfrage gegeben unter 450 Mittelstandsunternehmen im Rahmen einer Umfrage der Zeitschrift impulse. Und da ist deutlich geworden, dass also von diesen 450 Unternehmen 50 Prozent angegeben haben, keine höheren Kosten durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu haben. Die andere Hälfte hat angegeben, dass die Kosten geringfügig höher waren. Nur circa vier Prozent haben deutlich gemacht, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz deutlich höhere Kosten bei ihnen hervorgerufen hat. Also insofern, das ist nicht überraschend, dass die Zahl, die nun hier veröffentlich worden ist, doch deutlich von dem abweicht, was man im vorhinein geschätzt hat.

Hanselmann: Und wie zu hören war, hält trotzdem der DIHK, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag eine Milliardenbelastung nach wie vor für realistisch. Da steht doch wieder Aussage gegen Aussage.

Kroll: Das ist richtig, wenngleich man diesen Widerspruch meines Erachtens durchaus auflösen kann. Die Studie, die nun vorgelegt worden ist, bezieht sich auf einen Zeitraum von einem Jahr seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes. Das heißt, es wird ein Zeitraum betrachtet, in dem das Gesetz implementiert wurde und in dem es im Grunde genommen erst mit dieser Thematik losging. Die Prozessflut, die man erwartet hat, blieb aus. Wenn man jetzt aber zum Beispiel die Rechtsprechung zum AGG im Jahre 2007 oder auch 2008 betrachtet, dann stellt man fest, dass der Wind für die Unternehmen schärfer wird. Das heißt, es gibt mehr und mehr Urteile, die die Unternehmen verpflichten, Entschädigungszahlungen, Schadensersatzzahlungen an die möglicherweise dann diskriminierend abgewiesenen Bewerber zu leisten. Und das ist ein Aspekt, der in der Zukunft auch noch weiter betrachtet werden wird. Das heißt, man wird die künftige Rechtsprechung sehr genau auf Seiten der Unternehmen im Blick haben müssen und man wird auch mit weiteren, höheren Kosten für etwaige Schadensersatzleistungen rechnen müssen.

Hanselmann: Herr Kroll, in den Köpfen der Menschen wird heute sicher hängen bleiben, das Gleichbehandlungsgesetz ist eine feine Sache, es schützt mich vor Diskriminierungen im Beruf und außerdem kostet es viel, viel weniger als angenommen. Sehen Sie das auch so?

Kroll: Ich habe ja auch eben gerade ausgeführt, dass ich denke, dass die Kosten für die Unternehmen weiter steigen werden. Es wird in der Zukunft so sein, dass Unternehmen sich noch stärker mit der Thematik des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes beschäftigen müssen. Dieser, ich nenne es mal Hype, der nach Inkrafttreten des Gesetzes entstand, der ist ja vor einer gewissen Zeit abgeebbt, und nunmehr stellt man fest, dass die Rechtsprechung sich immer mehr diesen Problemen nähert. Sie haben es vielleicht auch mitbekommen, es ist ja eine sehr medienwirksame Klage über 500.000 Euro eingereicht worden gegen eine Versicherung einer deutsch-türkischen Mitarbeiterin. Das sind natürlich Verfahren, die die Öffentlichkeit wahrnimmt, jetzt immer mehr wahrnimmt. Insofern, denke ich, wird dieses Thema Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz wieder kommen. Es wird wieder in die Köpfe der Menschen gehen, und es wird dadurch auch letztendlich eine höhere Belastung für die Unternehmen nach sich ziehen.

Hanselmann: Die langjährige Ausländerbeauftragte Berlins, Barbara John, sie ist ja Vorsitzende des Beirats der Antidiskriminierungsstelle, lobt das Gesetz als großen Gewinn und freut sich über eine soziale Verkehrsordnung, wie sie es nennt. Soweit ich weiß, kritisieren Sie Grundsätzliches am Gleichbehandlungsgesetz. Was halten Sie ihr entgegen?

Kroll: Das ist richtig. Ich befürworte natürlich auch den Ansatz zur Schaffung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland sehr. Aber man muss aus rechtlicher Sicht sagen, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in einzelnen Punkten möglicherweise europarechtswidrig ist. Es ist so, dass die Europäische Union zwischenzeitlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil die EU davon ausgeht, dass das deutsche Antidiskriminierungsrecht eben in einzelnen Bereichen nicht den Vorgaben der europarechtlichen Richtlinie entspricht.

Hanselmann: Können Sie da ein Beispiel nennen?

Kroll: Ja, konkret bezieht sich das auf einen ganz wichtigen Aspekt, nämlich auf die Frage, inwieweit zum Beispiel Kündigungen, möglicherweise diskriminierende Kündigungen dem Schutzbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unterliegen müssen oder nicht. Nach deutschem Recht ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht auf derartige Kündigungen anwendbar. Die dem AGG aber zu Grunde liegende europarechtliche Richtlinie enthält die Verpflichtung, den Diskriminierungsschutz tatsächlich auch auf sogenannte Entlassungsbedingungen zu erstrecken.

Hanselmann: Also das heißt konkret, ein deutscher Unternehmer kann zurzeit noch einem angestellten Arbeiter wie auch immer kündigen und muss nicht nachweisen, dass er das nicht aus diskriminierenden Gründen getan hat.

Kroll: Grundsätzlich ist das richtig. Die Bundesregierung ist zum Beispiel dazu der Auffassung, dass der Diskriminierungsschutz in Deutschland bereits ausreichend über die Regelungen des sogenannten Kündigungsschutzgesetzes sichergestellt ist. Das Problem ist nun aber, dass dieser Schutz nur dann greift, wenn das Kündigungsschutzgesetz tatsächlich auch auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist. Und eine Anwendbarkeit ist nur dann gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis etwa schon mehr als sechs Monate dauert oder wenn es sich nicht um einen Kleinbetrieb handelt, also ein Unternehmen, was nicht mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt. Wenn das nicht der Fall ist, also wenn das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar ist, dann hätte man im Grunde die Notwendigkeit, auf sogenannte Generalklauseln zurückzugreifen, und das ist für uns Anwälte, gerade in der rechtlichen Durchsetzung bei Gericht, oftmals sehr, sehr schwierig. Das ist mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden. Das bedeutet große Hürden und möglicherweise, wie gesagt, Rechtsunsicherheiten für den Kläger, der eine möglicherweise diskriminierende Kündigung angreift. Also aus meiner Sicht wäre der Gesetzgeber durchaus gut beraten, eben gerade an der einen oder anderen Stelle nachzubessern, und dann kann das Gesetz in einem langjährigen Prozess sicherlich auch einmal ein großer Gewinn werden.

Hanselmann: Zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der Studie, die heute in Berlin veröffentlicht wurde war das Matthias Kroll, Fachanwalt und Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Guten Tag, Herr Kroll, und vielen Dank.

Kroll: Vielen Dank, Herr Hanselmann.

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